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Reportage im Sonntags-Blick

14.11.2010 Um 14.45Uhr hebt die einmotorige Piper mit dem Schweizerkreuz am Heck vom Flughafen Grenchen SO ab. Unter dem Flugzeug breitet sich das Seeland aus, die Aareschlaufe, in der Ferne der schneebedeckte Chasseral. Neben Pilot Silvan Steiner, sonst in Lufthansa Cockpits tätig, hat sich Beat Rölli angeschnallt. Der Sales Manager im medizinischen Bereich trägt Schwarz. Er ist heute als Bestatter unterwegs. Auf seinem Schoss liegt eine Urne mit der Asche eines Verstorbenen. Die Urne ist eine Spezialanfertigung für fliegende Beisetzungen – eine Alu-Kiste mit einem langen Rohr, damit Rölli die Asche so ausschütten kann, «dass nichts zurück in die Kabine kommt», wie er verspricht. Und fügt an: «Die nächste Urne wird dann aber eleganter. Feng-Shui-mässiger.»

Beat Rölli ist ein sehr moderner Totengräber. Mit seinem Unternehmen «Die letzte Ruhe» bietet der 42-jährige seit vier Jahren Naturbestattungen an. Er erklärt: «Ich kann den Tod nicht ändern oder aufhalten. Aber ich kann ihm einen schönen Rahmen geben.» Ob über dem See, auf einem Gletscher, im Bergbach, auf der Alp – «meine Angebote sind wie ein Buffet», preist er sein Geschäft an, «es hat für jeden etwas dabei».

Zehn Beisetzungen macht er im Monat, meist streut Rölli die letzten menschlichen Überreste unter einen Baum im eigenen Wald, zwei Parzellen, 30 000 Quadratmeter in Atlisberg/Schachen in der Nähe von Käilingen BE. Er sagt: «Ich habe Freude am Wald und daran, den letzten Wunsch von Verstorbenen erfüllen zu dürfen.» Und: «Mir geht es nicht nur ums Geldverdienen. Ich führe meine Arbeit pietätvoll aus.» Eine Waldbestattung kostet 300 Franken, das günstige Angebot im «Letzte-Ruhe»-Katalog. Teurer ist die Bestattung auf dem Gletscher, im ewigen Eis. Sie kostet 3000 Franken.

Die Piper dreht ab, zieht einen Kreis über dem Bielersee. Ein Kursschiff pflügt sich durch die Wellen. Beat Rölli räuspert sich. Seine Stimme tönt andächtig, als er den Namen des Verstorbenen nennt. Dann legt er eine Hand auf die Alu-Kiste und gibt dem Toten den Abschiedsgruss mit auf dem Weg durch die Lüfte: «Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute auf Ihrer letzten Reise.» Und: «Leben Sie wohl!» Er öffnet die Luke im Seitenfenster, schiebt das Rohr durch, kippt die Kiste. Die Asche saust davon, Richtung See (dies ist aktuell – 2021 – nicht mehr möglich) .

Achtzig Prozent von Beat Röllis Kundschaft stammen aus Deutschland. Dort ist nur eine Ruhestätte für Tote erlaubt: der Friedhof. So kaufen inzwischen viele Deutsche für ihre Bestattung ein Plätzchen in der Schweizer Natur. Denn in der sonst so durchreglementierten Eidgenossenschaft gibt es keine einheitlichen Vorschriften für menschliche Asche-Beisetzungen in der Natur – je nach Kanton kann sich jeder dort verstreuen lassen, wo er will. Im Gegensatz zu unseren nordischen Nachbarn ist die Hemmschwelle der Schweizer für die letzte Ruhe ausserhalb des Friedhofs noch gross. Aber langsam ändern sich auch hier die Traditionen. Angehörige lassen die Asche ihrer Liebsten auch schon mal im Garten unter dem Apfelbaum vergraben, verschütten sie neben Findlingen um Jura oder streuen sie beim Starthaus auf dem Lauberhorn in den Wind, Denn: Ist der Tod erst mal da, ist in der Schweiz beinahe alles möglich.

Und weil der Beruf des Bestatters kein geschützter Titel ist, weil jeder lebende Mensch tote Menschen unter die Erde bringen darf, gilt heute bei Beerdigungen nur noch eine Regel: dass keine Regel gilt.

01.11.2010 Am 2.November ist Allerseelen, der Tag an dem man Verstorbenen mit einem Friedhofsbesuch ehrt. Immer mehr Leute aber wollen eine Bestattung am See, Fluss oder im Wald. Vier Menschen erzählen wo ihr Ort der letzten Ruhe dereinst sein soll.

Es ist ein selsames Bild: Braun, kalt und feucht liegt das Laub auf dem Waldboden. Schaut man dagegen nach oben, tragen die Bäume noch immer ihr saftig grünes Blätterkleid. Zwischen diesem Sterben und Leben stehen Jasmin Meier (37) und Erich Iseli (46) im Wald bei Bätterkinden BE. Hier wollen die ehemalige Krankenschwester und der Aussendienstler sich einst von der Welt verabschieden. Hier wollen sie ihre letzte Ruhe finden. Hier werden Verwandte und Freunde ihre Asche zum Wurzelwerk eines Ahorn-Baums schütten. Um sich dann bei Spaziergängen im Wald an sie erinnern zu können. Das Paar atmet die feuchte Waldluft tief ein. «Wir sind Natur, und wir möchten zurück zur Natur.»
Jasmin Meier arbeitete während zwölf Jahren im Spital und begleitete viele Menschen in den Tod. Sie sagt: «Der Tod ist für mich kein Tabu, er gehört zum Leben.» Wie ihr Partner glaubt sie an ein Leben nach dem Sterben. Die beiden finden es wichtig, dass bei einem Übergang in die andere Welt individuell auf die letzten Wünsche des Verstorbenen eingegangen wird. «Das war bei den vielen kirchlichen Feierlichkeiten die wir bei Abdankungen erlebten, leider nicht der Fall.»

Das geht vielen Menschen so. Weil sie die Nähe zur Kirche und den Glauben zusehends verlieren, finden viele Halt in der Natur – wo sich immer mehr auch zur letzten Ruhe betten. Bestattungen in Wäldern gibt es schon länger. Sogenannte Friedwälder existieren seit den Neunzigerjahren. Es gibt in der Schweiz rund 60. Sie sind Teile von natürlichen Wäldern und frei zugänglich für alle Waldbesucher.

Jetzt findet eine weitere Naturbestattung statt. Beat Rölli (42), Inhaber der 2007 gegründeten Naturbestattungsfirma «Die letzte Ruhe» bietet ein Angebot von A bis Z: Baumbestattung, Bergbachbestattung, Felsbestattung, Flugbesattung mit Ballon, Flugzeug oder Helikopter, Flussbestattung, Seebestattung, Waldbestattung, Windbestattung. Nichts scheint unmöglich. Die Kosten liegen zwischen 260 und 5500 Franken. Naturbestattungen finden in eher kleinem, intimen Rahmen statt. Ein Baum in einem Friedwald kostet beispielsweise 4900 Franken. Die sterblichen Reste von mehreren Menschen könne im Wurzelwerk bestattet werden. Anders bei der traditionellen Erd- oder Urnenbestattung: Sarg, Trauermahl und Grabpflege schlagen oft mit mehr als 10000 Franken zu Buche.


An Allerseelen, dem Gedenktag für Verstorbene, wollen vielen ihren Nächsten nah sein. Im Wald von Bätterkinden BE, wo rundherum bereits viele Tote naturbestattet wurden, fühlen sich Jasmine Meier und Erich Iseli näher bei Verstorbenen als auf einem grossen Friedhof. «Bäume mit ihren starken Wurzeln erden uns.» Der Ahornbaum sei ein Symbol für Zurückhaltung, für ein angenehmes und glückliches Leben.

Bereits mehr als fünf Prozent aller Bestattungen finden heutzutage in der freien Natur statt. «Bei kommerziellen Naturbestattungen schieben gewisse Kantone oder Gemeinden jetzt den Riegel», sagt Werner Wilhelm (55), Präsident des Schweizerischen Bestatterverbandes. Beispielsweise der Kanton Zürich bei Seebestattungen oder das Wallis bei Aschebeisetzungen auf Gletschern. Die zwei Kilo Asche, die nach der Verbrennung eines Toten anfallen, sind zwar nicht giftig, hinterlassen aber gerade auf einem Gletscher deutliche Spuren.
In der Schweiz besteht bei Aschebeisetzungen keine Bestattungspflicht. Privatpersonen dürfen die Asche von angehörigen im See, im Wald im Garten oder in den Bergen «im Rahmen der Vertretbarkeit» verstreuen, sagt Bruno Bekowies (44), stellvertretender Leiter des Zürcher Bestattungs- und Friedhofsamts.

Seit 1964 das Verbot der Feuerbestattung im katholischen Kirchenrecht augehoben wurde, lassen sich immer mehr Menschen kremieren. Nach dem Tod enden Herr und Frau Schweizer zu 70 Prozent in einem Hochofen. «Nur in vorwiegend katholischen Gegenden wie der Südschweiz oder dem Wallis sind es noch vermehrt Erdbestattungen», sagt Werner Wilhelm vom Bestatterverband.

Asche auf 1000 Meter Höhe dem Wind übergeben

Beat Rölli von der Naturbestattungsfirma «Die letzte Ruhe» bringt Totenasche in einem speziell angefertigten Behälter in ein Kleinflugzeug. Die Angehörigen des Verstorbenen sind in Gedanken dabei, räumlich aber weit weg. Der Pilot steuert die Piper vom Flugplatz Kappelen BE auf gut 1000 Meter Höhe, und bei rund 160 Stundenkilometern wird die Asche durch eine kleine Fensterluke in den Wind gelassen (dies ist aktuell – 2021 – nicht mehr möglich). Wenige feierliche Worte zum Abschied, verständnisvolles Nicken, ein sanftes Lächeln. Überreste, «gone with the wind».

«Der Verstorbene hat nun seine Ruhe in der Natur gefunden», sagt Rölli. Seine Kundschaft schätzt es, wenn er den Bestattungsservice abnehme. So können die Trauernden sich auf den Schmerz konzentrieren. «Letzte Ruhe» all inclusive, individuell angepasst.

Der letzte Wunsch ihrer Eltern war Jrene Dolf (58) aus Aarberg BE Befehl. Sie bestattete Vater und Mutter 2008 und 2009 im Rhein. «Als gebürtige Holländer wollten sie für ewig dem Meer nahe sein», sagt die Chemielaborantin. Letzten Sommer stand Jrene Dolf mit ihrem Partner und Hündin Ena im holländischen Petten am Meer. «Da spürte ich meine Eltern.»

Zeichen einer Individualisierten Welt

«Im Wald, auf dem Berg, am Fluss, unter dem Baum, am Gestein, im Winde verweht . . . / Wir gehören in den Kreislauf der Natur, wo alles beginnt.» So steht es auf einem grossen Plakat in einem Friedwald. Für die Bestattung gibt es fast keine Regeln mehr. Ein Kulturzerfall? «Nein», sagt Werner Wilhelm vom Bestatterverband. «Die neuen Bestattungsformen sind vielmehr einfach ein Zeichen unserer individualisieren Zeit.» Einer Zeit, in der die Friedhöfe immer weniger romantische Freiluftmuseen mit Mausoleen und Engeln, mit manngrossen Christusfiguren und kunstvollen Kreuzen sind.

Asche zu Asche, Staub zu Staub, Natur zu Natur. Die Frage des Lebensschlusses lautet heute nicht mehr «Was geschiet nach dem Tod?», sondern: «Wer waren wir?». In welchem Element fühlte sich der Vielflieger, der Fischer oder der Holzschnitzer am wohlsten? Dort, wo sie sich vorstellen können, ihren Frieden zu finden. In Luft, Wasser oder Erde, Verweht, aufgelöst oder begraben. Und doch nicht vergessen.
Texte Mathias Hael, Bilder Paolo Butto

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In der Schweiz ruht es sich besonders sanft – Welt Online, welt.de

30.10.2009 Beat Rölli bietet Bestattungen auf Gletschern und Bergwiesen an. Seine besten Kunden sind Deutsche.

Wien – Es muss ein spektakulärer Anblick gewesen sein: Ein Helikopter landet auf dem Schweizer Lauberhorn, die imposante Eigernordwand im Rücken. Die Insassen steigen aus, einer von ihnen trägt eine Urne, spricht ein paar Worte, über das Sterben, die Ewigkeit, darüber, dass letzte Wünsche erfüllt werden sollten, dann schüttet er die Asche über das weisse Schneefeeld, die anderen streuen Rosenblätter hinterher. Die Bestattung dauert nur ein paar Minuten, dann sitzen die Trauernden wieder im Helikopter.

Der Mann, den sie dort oben in den Berner Bergen verabschiedet haben, ist vor sieben Wochen an Lungenkrebs gestorben. Er war 45 Jahre alt, Informatiker, und er stammte aus Bremen. Er lebte zurückgezogen, ohne Familie, Freude machte ihm vor allem das Skifahren in Grindelwald, auf der anderen Seite des Eigers, so entstand die Idee, sich in den Bergen begraben zu lassen. Als der Bremer starb, hörten sich seine Freunde nach einem Schweizer Naturbestatter um – und landeten bald bei Beat Rölli, der seit drei Jahren in Solothurn eine Firma namens «Letzte Ruhe» betreibt.

Neunzig Prozent von Beat Röllis Kunden sind Deutsche. Sie flüchten vor dem Friedhofszwang, der in Deutschland selbst für die Asche von Verstorbenen gilt, sie wollen nicht hinter Friedhofsmauern liegen, auf engem Raum mit lauter Fremden, im Schatten einer Kirche, die ihnen oft nichts mehr beutet, deshalb wenden sie sich schon zu Lebzeiten an Rölli oder hinterlassen ihren Angehörigen den Wunsch, in der Natur begraben zu werden. «Den einen geht es um Selbstbestimmung», sagt Rölli, «die anderen wollen auch im Tod etwas Aussergewöhnliches.» In der Schweiz ist beides möglich. Eine so aufwendige Bestattung wie die des Bremers am Lauberhorn ist jedoch nicht die Regel, sagt Rölli. Helikopter, drei Trauernde mit dabei, da müsse man schon in Kosten in Höhe von 2000 Euro rechnen. Der Schweizer bietet aber nicht nur teure Flugbestattungen – alternativ kann man die Asche des Verstorbenen auch aus einer Cessna (dies ist aktuell – 2021 – nicht mehr möglich) oder reinem Heissluftballon «über einem von Ihnen bestimmten Naturgebiet» verstreuen-, sondern auch Bergwiesen-, Fluss- oder Waldbestattungen an. Die Angehörigen können können dabei sein oder die Koordinaten des Naturgrabs anfordern, um es später zu besuchen, aber auch auf beides verzichten. Eine «anonyme Bestattung» auf einer Waldwiese ist mit 334 Euro das billigste Begräbnis im Portfolio von Beat Rölli.

Geld sparen – auch das gehört zu den Motiven von Röllis deutschen Kunden, von denen viele aus den neuen Bundeländern kommen. Seit in Deutschland das gesetzliche Sterbegeld gestrichen wurde, suchen immer mehr Menschen nach günstigeren Alternativen zu deutschen Friedhöfen, wo neben Bestattungs- und Grabgebühren auch noch die Kosten für den Unterhalt des Grabs anfallen. Bei Rölli hingegen, damit wirbt er gerne, übernimmt die Natur die Grabpflege.

Rölli arbeitet eigentlich im Vertrieb einer Chemiefirma, aber die «Letzte Ruhe» wächst. Jeden Monat bestattet er die Asche von zehn bis 20 Menschen in Bächen und Seen, unter Wiesen und Bäumen. Bestattungen ausserhalb des Friedhofs sind auch in der Schweiz immer noch die Ausnahme, sagt Fritz Stalder vom Schweizer Verband der Bestattungsdienste. Er schätzt, sie machten acht bis zehn Prozent der jährlichen rund 70 000 Bestattungen in der Schweiz aus, aber die Tendenz sei steigend. Wie hoch der Anteil der Deutschen bei den Naturbestattungen ist, habe niemand erfasst, sagt Stalder, aber in manchen Kantinen habe der «Urnentourismus» schon für einigen Protest bei den Einheimischen gesorgt.

Im Wallis wurde die gewerbsmässige Naturbestattung vergangenes Jahr (2008) sogar verboten, Auslöser waren die Aktivitäten des Düsseldorfers Dietmar Kapelle, der mit seiner Firma «Oase der Ewigkeit» auf privaten Wiesen zwischen Walliser Dörfern die Asche von Hunderten Landeleuten vergraben hatte – für einen Aufpreis von 10,76 Euro auf Wunsch auch unter einem Edelweiss. Bei all der verschütteten Asche hätten sich die Walliser Sorgen gemacht, «dass irgendwann bei ihnen die verstorbenen Nachbarn auf dem Salat liegen», sagt Bestatter Stalder, «die wollten nicht mehr, dass damit Geschäfte gemacht werden». Dietmar Kappele ist längst auf andere Kantone ausgewichen und bietet nun sogar Seebestattungen in der Ostsee und einen Begräbniswald im Rhein-Sieg-Kreis an.

Sein Schweizer Kollege Beat Rölli sagt, er habe aus den Reaktionen der Walliser gelernt Er habe seinen Nachbarn Zeit gegeben, gegen sein Geschäftskonzept Einspruch zu erheben, und bei der Auswahl seiner Parzellen am, Altisberg darauf geachtet, den Chalets nicht so nahe zu kommen wie Dietmar Kapelle im Wallis. Das nächste Bauernhaus ist einen Kilometer entfernt, und bis am Lauberhorn die Skisaison wieder losgeht, dauert es noch ein paar Wochen.

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